Was ist eine „Paroxysmale Dyskinesie“ und was sind die klinischen Zeichen?

Das Wissen über die "Paroxysmale Dyskinesie" (PD, „anfallsartige Bewegungsstörungen“) hat sich über die Jahre hinweg kontinuierlich erweitert. Durch die Aufklärung und Sensibilisierung der Besitzer werden die betroffenen Patienten immer besser erkannt, auch wenn noch nicht alle Fragen beantwortet werden können.

Dieser Artikel soll einen kurzen und allgemeinen Überblick über die PD ermöglichen, wobei auf weitere Literatur und Fallstudien hingewiesen sei, da sich das Wissen und die Erfahrungen stetig weiterentwickeln, was zu Veränderungen und Fortschritt führt. Durch eine internationale Task Force/Arbeitsgruppe, bestehend aus verschiedenen Experten, wurde im Jahr 2021 eine Veröffentlichung erstellt, in der das bisherige Wissen zu Themen wie Terminologie, Pathophysiologie und bereits identifizierte PD bei Hunden untersucht und zusammengefasst wurde. Für eine detailliertere Lektüre sei auf den folgenden Artikel verwiesen: International Veterinary Canine Dyskinesia Task Force ECVN Consensus Statement: Terminology and classification, Cerda-Gonzaled et al., JVIM 2021.

Die PD zählt zu den Bewegungsstörungen (Movement Disorder), zu denen unter anderem ebenso Tremor (Zittern), Muskelverkrampfungen und ruckartige Muskelkontraktionen gehören. Bei ihr kommt es zu selbstlimitierenden, plötzlich und unwillkürlich auftretenden Episoden mit anhaltenden Muskelkontraktionen (hypertonisch) oder reduzierter Muskelspannung/Relaxation (hypotonisch), was zu abnormalen Bewegungen und Körperhaltungen führt (Dystonie). Es ist möglich, dass einzelne Gliedmaßen, mehrere Gliedmaßen, der Rumpf-, Hals- und/oder Kopfbereich involviert sind, wodurch es beispielsweise zu einer Krümmung des Rückens (Kyphose), zu steifen kurzen Schritten oder zu einer „übertriebenen Anhebung“ der Gliedmaßen kommen kann. Üblicherweise sind die Patienten während der Episoden schmerzfrei, bei normalem Bewusstsein und oft in der Lage zu gehen. In verschiedenen Rassen wurde eine PD beschrieben, unter anderem: Bichon Frisé, Border Terrier, Boxer, Cavalier King Charles Spaniel, Chinook, Deutsch Kurzhaar, Jack Russell Terrier, Labrador Retriever, Malteser, Norwich Terrier, Scottish Terrier, Sheltie, Soft Coated Wheaten Terrier und Welsh Terrier. Sie wird außerdem in Sphinx Katzen vermutet. Innerhalb der Humanmedizin ist es möglich, die PD zu kategorisieren, wobei eine zunehmende Anzahl von Gemeinsamkeiten zwischen Veterinärmedizin und Humanmedizin erkannt wird. Einige Episoden von PD zeigen eine spontane Manifestation in Ruhe, die mit der „Paroxysmalen nicht kinesiogenen Dyskinesie“ (PNKD) beim Menschen vergleichbar wäre. Dies wird beispielsweise bei Hunderassen wie dem Chinook („Chinook Anfälle/Chinook Seizures“), dem Border Terrier („Canine epileptoid cramping syndrome“ (CECS), „Spike’s Disease“) oder dem Soft Coated Wheaten Terrier vermutet. Eine ähnliche Form der „Paroxysmalen kinesiogenen Dyskinesie“ (PKD), also Episoden, die eher durch Bewegung induziert werden, wird beispielsweise beim Labrador Retriever oder Sheltie angenommen.

Die plötzlichen Veränderungen in der Bewegung können weiterhin als „hypokinetisch“ oder “hyperkinetisch“ charakterisiert werden. Unter einer „Hypokinetik“ versteht man die Schwierigkeit, eine Bewegung zu initiieren, wie sie beispielsweise bei der „Caninen Multiplen Systemdegeneration“ des Chinesischen Schopfhundes (Chinese Crested Dog) auftritt.

Eine „Hyperkinetik“, hingegen beschreibt unwillkürliche Bewegungen, die eher im Übermaß ausgeführt werden. Außerdem wurde beobachtet, dass Aufregung und Stress als „Trigger“ funktionieren kann, z.B. beim Scottish Terrier (Scottie Cramp), Border Terrier (Spike's Disease), Cavalier King Charles Spaniel (Episodic Falling) sowie bei der PD des Jack Russell Terriers, Boxers, Deutsch Kurzhaars und Sheltie. Im Gegensatz dazu werden Trigger z.B. beim Malteser, Norwich Terrier und Chinook weniger vermutet.

Unterschied zur Epilepsie

Insbesondere wenn lediglich einzelne Gliedmaßen betroffen sind, kann die Herausforderung bestehen, zwischen PD-Episoden und fokalen epileptischen Anfällen zu differenzieren. Aktuell lässt sich diese Unterscheidung nur mittels EEG (Elektroenzephalogramm, Gehirnstrommessung) vornehmen, da bei Patienten mit PD keine epileptische elektrische Hirnaktivität im EEG nachweisbar ist. Es wird angestrebt, mittels der Beschreibung von Bewegungsabläufen Unterschiede zur Epilepsie zu identifizieren. Hierfür ist ein detailliertes Gespräch zwischen dem Tierbesitzer und Tierarzt wichtig und Videoaufnahmen können äußerst hilfreich sein.

Die nachfolgenden Kriterien können zur Differenzierung herangezogen werden:
  Paroxysmale Dyskinesie Epilepsie
Bewusstsein Während der Episoden sind die Tiere i.d.R. ohne Bewusstseinseintrübung und ansprechbar (versuchen teilweise zu laufen). Bei generalisierten (den ganzen Körper einnehmenden) epileptischen Anfällen sind die Tiere „bewusstlos“/nicht ansprechbar. Bei fokalen Anfällen kann das Bewusstsein normal wirken.
Autonome Zeichen (z. B. Urinieren, Kotabsatz, vermehrter Speichelfluss, geweitete Pupillen) Es treten i.d.R. keine autonomen klinischen Zeichen auf. Achtung: 50 % der Border Terrier mit einer Gluten-sensitiven PD (siehe unten) können gastrointestinale Symptome, wie Durchfall, zeigen (davon zeigen 50 % die klinischen Zeichen direkt vor oder nach der Episode). Bei generalisierten epileptischen Anfällen kommt es zu autonomen Zeichen (ggf. treten nicht alle auf). Bei fokalen Anfällen sind autonome Zeichen möglich, können aber auch ausbleiben.
Dauer der Episoden Die Episoden können wenige Minuten, teilweise aber auch über mehrere Stunden anhalten (mit normalem Bewusstsein). Epileptische Anfälle dauern i.d.R. 2-3 Minuten (über 5 Minuten: „Status epilepticus“, Notfallsituation). Achtung: Häufig hintereinander auftretende epileptische Anfälle, z.B. auch fokale Anfälle, können wie ein langer wirken. Wenn das Bewusstsein zwischenzeitlich wieder normal ist, wird von Serienanfällen gesprochen.
Neurologische Defizite und Verhaltensveränderungen Neurologischen Defizite treten i.d.R. zwischen den Episoden nicht auf. Es treten i.d.R. keine oder nur sehr leichte Verhaltensveränderungen vor und/oder nach der Episode auf. Nach epileptischen Anfällen kommt es i.d.R. zu einer „postiktalen Phase“, die wenige Stunden bis Tage dauern kann. Es kann zu neurologischen Defiziten, wie einem reduzierten Visus oder „Blindheit“ kommen, oder, dass die Pfoten nicht richtig positioniert werden. Tiere können einen unkoordinierten Gang (Ataxie), gesteigertes Durst- und Hungergefühl und manche sogar Aggression zeigen.

Ursachen einer Paroxysmalen Dyskinesie

Derzeit wird davon ausgegangen, dass sich Veränderungen in dem äußerst komplexen Kommunikationsnetzwerk des zentralen Nervensystems vollziehen. Dieses Netzwerk umfasst verschiedene Schaltstellen wie beispielsweise das Großhirn (Motor Cortex), die Basalnuclei/Basalkerne, die Thalamus- und Hirnstamm-Kerngebiete (Motor Kerngebiete) sowie das Kleinhirn (Cerebellum).

Generell erfolgt eine Unterscheidung zwischen der hereditären (erblichen) oder vermutlich genetischen PD (weniger häufig als „primär“ bezeichnet) und der erworbenen (sekundären) PD, die wie eine strukturelle Epilepsie, durch strukturelle Veränderungen im Gehirn entstehen kann. Häufiger wird eine hereditäre bzw. vermutlich genetische PD vermutet.

Hereditäre/erbliche PD Und vermutlich erbliche PD Erworbene/sekundäre PD

Hereditär/erblich, z.B.:

  • Cavalier King Charles Spaniel (BCAN Mutation)
  • Soft Coated Wheaten Terrier (PIGN Mutation)
  • Sheltie (PCK2 Variante)

Vermutlich genetisch, z.B.:

  • Border Terrier
  • Chinook
  • Deutsch Kurzhaar
  • Jack Russell Terrier
  • Labrador
  • Scottish Terrier

Mögliche strukturelle Veränderungen im Gehirn, die das Kommunikations-Netzwerk stören könnten, sind z.B.:

  • vaskuläre Erkrankungen (z.B. Blutungen, Thrombus-Bildung)
  • Entzündungen (immun-vermittelt oder infektiöser Natur)
  • Traumata
  • Anomalien/Missbildungen
  • metabolisch/toxische Erkrankungen
  • Tumorerkrankungen

Beschrieben sind beispielsweise eine Medikamenten-induzierte PD durch Phenobarbital oder Propofol und insbesondere beim Border Terrier eine erworbene Paroxysmale Gluten-sensitive Dyskinesie, bei der die Bildung von Antikörpern („Anti-canine Gliadin IgG“ und „Anti-canine Transglutaminase IgA“) eine Rolle spielt (siehe Abschnitt Diagnostik). Aufgrund einer Unverträglichkeit und Antikörperbildung treten Episoden auf, die durch eine glutenfreie Diät (siehe Abschnitt Therapie) verbessert werden können. Positive Antikörpertiter wurden ebenfalls bei Mischlingen, beim Standard Pudel, Cairn Terrier, Rhodesian Ridgeback und Zwergspitz beobachtet.

Diagnostik und was der Besitzer tun kann

Aufgrund der Vielfalt der möglichen Ursachen wird Ihr Tierarzt nach einer detaillierten Anamnese und Datenerfassung eine umfassende allgemeine Untersuchung und neurologische Untersuchung Ihres Tieres durchführen, um Anhaltspunkte für die Ursache zu erhalten. Zu Beginn werden zunächst weniger invasive ergänzende Untersuchungen durchgeführt, beispielsweise eine Laboruntersuchung zum Ausschluss von metabolischen Ursachen. In diesem Zusammenhang können auch die „Anti-canine Gliadin IgG“ und „Anti-canine Transglutaminase IgA“-Antikörper im Blut untersucht werden. Hierbei handelt sich um Antikörper, die im Zusammenhang mit der erworbenen Gluten-sensitiven PD stehen (siehe oben). Bei positiven Befunden können diese ebenso für Verlaufskontrollen genutzt werden.

Zusätzlich besteht die Möglichkeit, Blut für eine genetische Untersuchung zu entnehmen. Ein Gentest liegt beispielsweise vor für:

  • Canine multiple Systemdegeneration beim Kerry Blue Terrier und Chinesischer Schopfhund (SERAC1)
  • Episodic Falling des Cavalier King Charles Spaniels (BCAN)
  • PD des Soft Coated Wheaten Terriers (PIGN)
  • PD der Sheltie (Shetland Sheepdog, PCK2)

Die Durchführung einer Genuntersuchung ist nicht nur für die Diagnose von Bedeutung, sondern spielt auch eine essenzielle Rolle in der Zuchtpraxis, um die Verbreitung von Krankheiten zu verhindern.

In nachfolgenden Schritten könnte ggf. Ihr Tierarzt weitere Untersuchungen wie Röntgenaufnahmen oder Ultraschalluntersuchungen in Erwägung ziehen, je nachdem, ob Befunde in der allgemeinen, neurologischen oder Blutuntersuchung erhoben wurden. Weiterer diagnostische Untersuchungen, wie die Durchführung einer Liquorpunktion (Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeitsuntersuchung) und Magnetresonanztomographie (MRT), wird i.d.R. besprochen, um andere Ursachen für eine mögliche erworbene PD auszuschließen. Wie bereits erwähnt, stellt die EEG-Untersuchung bei einigen Patienten eine weitere wichtige Untersuchung dar, insbesondere wenn die Differenzierung von fokalen Anfällen schwierig ist.

Wenn Sie bei Ihrem Vierbeiner „Episoden“ vermuten, bei denen es sich um epileptische Anfälle oder Bewegungsstörungen handeln kann, kontaktieren Sie Ihren Tierarzt oder natürlich Ihren Neurologen. Es ist nützlich, Videos zu erstellen, idealerweise im Querformat. Sie können dabei helfen, die Episoden besser zu verstehen. Versuchen Sie ihr Haustier anzusprechen und dies zu filmen, um nachvollziehen zu können, wie ansprechbar der Vierbeiner ist. Ggf. möchte ihr Hund/Katze laufen. Filmen Sie am besten von allen Seiten, sodass auch gesehen werden kann, wenn und ob nur eine Seite betroffen ist. Versuchen Sie, eine ruhige Atmosphäre zu schaffen. Führen Sie eine Art „Episodentagebuch“.

  • Fallen Ihnen Verhaltensveränderungen vorher oder nachher auf?
  • Wann tretend die Episoden auf?
  • Aus der Ruhe oder nach Stress?

Ggf. fällt Ihnen ein Trigger auf. Achten Sie darauf, ob es zu autonomen Zeichen, wie z. B. zur Weitung der Pupillen, zum Urinabsatz, Kotabsatz und/oder zum vermehrten Speichelfluss, kommt. Wissen Sie etwas von Geschwistertieren? Fragen Sie ggf. bei Ihrem Züchter nach, ob schonmal etwas Vergleichbares aufgetreten ist. Was füttern Sie zu Hause? Ggf. enthält das Futter Gluten? Achten Sie hierbei auch auf alle Leckerchen, die extra gegeben werden oder ob ihr Tier bei Freunden oder der Familie irgendetwas anders als Futter oder Leckerchen bekommt.

Verlauf und mögliche Therapie einer Paroxysmalen Dyskinesie

Oft handelt es sich noch um Einzelberichte und es müssen noch weitere Erfahrungen und Studien folgen, um Verläufe für verschiedene Rassen besser beurteilen zu können. Bei manchen Hunden zeigte sich ein „besser werdender Verlauf“, „Stabilisierung“ oder gar Remission, wie z. B. beim Labrador Retriever, Jack Russell Terrier, Cavalier King Charles Spaniel oder Scottish Terrier.

Häufig wird die Lebensqualität des Vierbeines, auch ohne Medikamentengabe, vom Besitzer als nicht eingeschränkt beschrieben.

Manche Hunde reagieren gut auf Antiepileptika. Zum Beispiel wurde beim Welsh Terrier eine positive Reaktion auf das Antiepileptikum Levetiracetam beobachtet. Die Gabe von Medikamenten, wie Acetazolamid (Carboanhydrase Hemmer) ist z. B. beim Soft Coated Wheaten Terrier beschrieben. Es scheint, dass Verbesserungen bei Cavalier King Charles Spaniels durch die Verabreichung von Acetazolamid oder Clonazepam möglich sind. Darüber hinaus sind auch Medikamente wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, wie z. B. 'Fluoxetin', für Hunde beschrieben worden, wobei z. B. beim Scottish Terrier ein Mangel an Serotonin diskutiert, und eine positive Ansprache beobachtet wurde. Insbesondere im Falle einer erworbenen Gluten-sensitiven Dyskinesie kann durch die ausschließliche Einhaltung einer glutenfreien Diät eine Verbesserung der Episoden oder eine Reduzierung ihrer Häufigkeit beobachtet werden.

Bei Shelties mit Paroxysmaler Exercise-Induced Dyskinesie wurde eine Verbesserung durch eine glutenfreie Diät mit erhöhtem Anteil an Proteinen und Tryptophan beobachtet, da aufgrund des genetischen Defekts Probleme bei der Energiegewinnung auftreten.

Ergänzend:

  • Falls Auslöser wie Stress oder Aufregung identifiziert wurden, empfiehlt es sich ebenfalls, diese Aspekte zu berücksichtigen (beispielsweise durch Maßnahmen zur Stressreduktion).
  • Wie bereits erwähnt, im Falle eines Gendefekts sollte in Betracht gezogen werden, das Tier aus der Zucht zu nehmen, um die Verbreitung der Erkrankung zu reduzieren.

Literaturangaben >>