Epileptische Anfälle sind eine kurzzeitige hypersynchrone Überaktivität der Neurone des Gehirns: Man könnte sagen, alle Nervenzellen machen auf einmal gleichzeitig das Gleiche und viel zu viel. Dies zeigt sich meist als unwillkürliche Bewegungen (klonische Anfälle) oder Streckung der Gliedmaßen (tonische Anfälle) oder eine Mischung aus beidem. Anfälle können generalisiert sein, sprich den kompletten Körper betreffen, oder nur einzelne Teile des Körpers (=fokale Anfälle). Bei generalisierten Anfällen verlieren die Tiere oft das Bewusstsein, sind nicht mehr ansprechbar, setzen unbeabsichtigt Kot oder Urin ab oder speicheln sehr stark. Normalerweise dauern diese Anfälle nur wenige Minuten (ca. bis zu 2 Minuten). Danach sind die Tiere oft verwirrt und unsicher im Gang (=Ataxie). Manche Tiere erkennen ihre Besitzer zunächst nicht wieder, zeigen Anzeichen einer Blindheit oder sind unsicher und aggressiv. Diese Symptome vergehen meist innerhalb kurzer Zeit wieder, können aber unter Umständen mehrere Tage anhalten (=postiktale Phase).
Neben den beschriebenen Anfällen werden Variationen beschrieben: Phasen, in denen das Tier nicht ansprechbar ist und ins Leere starrt; Episoden, bei denen das Tier kurzzeitig nicht richtig gehen kann. Ob es sich bei diesen episodischen Störungen um Anfälle handelt, lässt sich nicht immer zweifelsfrei beurteilen.
Erst spezielle Auffälligkeiten in der Elektroenzephalographie lassen eindeutig einen epileptischen Anfall feststellen.
Elektroenzephalogramm (EEG) zur Messung der Hirnströme kann wach oder in Sedation gemacht werden.
Auslösende Ursache für Anfälle können viele Erkrankungen sein. Diese kann man grob in drei Untergruppen aufteilen:
- Reaktives Krampfgeschehen
- Strukturelle Epilepsie -> Link zum Beitrag Erkrankungen des Grosshirns (KoJu)
- Idiopathische Epilepsie -> Link zum Beitrag - Canine idiopathische Epilepsie (JaN)
Als reaktives Krampfgeschehen werden systemische Erkrankungen außerhalb des Gehirns bezeichnet. Dabei führen krankhafte Stoffwechselendprodukte, ein entgleister Metabolismus, Energie- und Sauerstoffunterversorgung oder aufgenommene Gifte zu einer vorübergehenden Fehlfunktion des Gehirns, das mit Anfällen reagiert. Dies können unter anderem ein Lebershunt, Unterzuckerung, Elektrolytentgleisungen oder eine Vergiftung sein. Um diesen Erkrankungen auf die Spur zu kommen, sind vor allem eine ausführliche Blut-, sowie teilweise Röntgen- und Ultraschalluntersuchungen sinnvoll. Diese Untersuchungen sind vergleichsweise günstig, sind nur minimal invasiv und können bei den meisten Tieren ohne Narkose durchgeführt werden. Ergeben sich hier keine Hinweise auf eine extrakranielle (=außerhalb des Gehirns) Erkrankungen, muss von einer Erkrankung des Gehirns ausgegangen werden, diese wird Epilepsie genannt (Epilepsie= chronische Anfallserkrankung, mehr als ein Anfall im Abstand von mehr als 24 Stunden). Dabei unterscheidet man zwischen struktureller Epilepsie und idiopathischer Epilepsie.
Die Diagnose strukturelle Epilepsie wird gestellt, wenn das Gehirn einen nachweisbaren Schaden hat (z.B. mit CT, MRT, Liquor). Dazu zählen Entzündungen des Gehirns (Viren, Bakterien, andere Erreger oder eine autoimmune Erkrankung), Tumore, Narbengewebe nach einem Unfall (posttraumatische Epilepsie), Missbildungen, Schlaganfälle, Hirnblutungen und andere Erkrankungen. Diese Tiere zeigen in der neurologischen Untersuchung meist Auffälligkeiten. Eine Abklärung dieser Erkrankungen bedarf meist einer Untersuchung in Narkose (CT, MRT, Liquor).
Im Gegensatz dazu stellt man die Diagnose „idiopathische Epilepsie“ aufgrund einer typischen Krankheitsgeschichte (erster Anfall meist bei jungen, erwachsenen Hunden, die zwischen den Anfällen komplett normal sind; evtl. Verwandte mit gleicher Symptomatik) und einer sogenannten Ausschlussdiagnostik (normale neurologische Untersuchung, unauffällige Blutbefunde und Schnittbilduntersuchungen des Gehirns sowie unauffällige Liquoruntersuchung), da es keinen speziellen Test für idiopathische Epilepsie gibt. Zusätzlich können Veränderungen in der Elektroenzephalographie (EEG) Hinweise auf idiopathische Epilepsie liefern. Aufgrund der Art der Anfälle (fokal oder generalisiert; mit oder ohne Bewusstseinsverlust) oder deren Schwere und Länge lassen sich diese Erkrankungen leider nicht unterscheiden. Bei einigen Hunderassen sind Gentests für spezielle Epilepsieformen vorhanden.
Eine gründliche Abklärung ist wichtig, um den Tierbesitzer über die Prognose aufklären zu können („wie gut sind die Chancen auf Heilung oder Symptomfreiheit?“) und eine spezifische Therapie einleiten zu können.
Was Sie als Besitzer zur Diagnosefindung betragen können:
- Video - Aufnahmen der Anfälle
- Aufzeichnungen (Uhrzeit, Dauer etc. s.u.) zu den Anfällen (analog oder z.B. als App: RVC Pet Epilepsy Tracker App)
- bringen Sie bitte alle Unterlagen von bisher durchgeführten Untersuchungen (Blut- und Röntgenbilder) in die Sprechstunde mit
- Ahnentafel Ihres Tieres
- sonstige Besonderheiten (z.B. aus dem Ausland, Unfall als Welpe, Geschwister haben auch Anfälle)
Ein Video (Punkt 1) von den Anfällen in ihrer ganzen Länge ist für den Tierarzt hilfreich: Dabei sollten die Tiere, wenn möglich, in einer Aufnahme komplett in Ruhe gelassen werden und in einer zweiten Aufnahme gerufen/angesprochen/gelockt werden. So kann man den Bewusstseinszustand einfacher einschätzen.
Das Video sollte, wenn möglich bei guter Beleuchtung von vorne und von der Seite gedreht werden, so dass man das ganze Tier, aber auch das Gesicht so genau wie möglich sehen kann.
Natürlich sollten sich dabei weder der Tierbesitzer noch das Tier selbst in Gefahr befinden.
Im Zweifel geht die körperliche Unversehrtheit über eine Videoaufnahme.
Beispiel für ein Anfallstagebuch (Punkt 2)