Canines und felines kognitives Dysfunktionssyndrom – „Demenz“ bei Tieren

Durch bessere medizinische Versorgung und Fütterung werden Haustiere immer älter, sodass auch typische Erkrankungen des Alters, so auch bestimmte Gehirnveränderungen, immer häufiger auftreten. Etwa ein Drittel der 11- bis 12-jährigen Hunde zeigt laut einer Besitzerbefragung eine Kombination klinischer Zeichen entsprechend einer Demenz, bei Hunden der Altersgruppe 15- 16 Jahre sind es sogar 70 %.

Fast ein Drittel der Katzen im Alter zwischen 11- 14 Jahre zeigen zumindest ein Verhaltensproblem, welches typisch für kognitive Dysfunktion ist. Bei Katzen über 15 Jahre ist die Hälfte der Tiere davon betroffen.

 


Klinische Zeichen des caninen und felinen kognitiven Dysfunktionssyndroms

Die Demenz bei Hunden und Katzen äußert sich in einer variablen Kombination aus langsamem Verlust kognitiver Fähigkeiten und Verhaltens- sowie Wesensveränderungen, die individuell voranschreiten, oft über Monate oder Jahre hinweg. Sowohl bei Menschen als auch Tieren müssen wir davon ausgehen, dass betroffene Patienten in subklinischen oder milden Stadien der Krankheit noch nicht diagnostiziert werden, obwohl schon Gehirnveränderungen bestehen.

Die typischen Symptome können unter der aus dem Englischen generierten Abkürzung DISHA-A zusammengefasst werden.

D steht hier für Desorientierung, I für veränderte soziale Interaktion mit Menschen oder Partnertieren und der Umgebung, S für veränderten Schlaf-Wach-Rhythmus, H für Verlust der Stubenreinheit (Housesoiling), A für veränderte Aktivität und vermehrte Ängstlichkeit.

Die Tiere stehen zum Beispiel in Ecken und finden nicht mehr heraus, gehen zur falschen Seite der Tür oder bleiben einfach hinter dem Sofa stecken und müssen dort „abgeholt“ werden. Oft schauen die Patienten vermehrt in die Luft ins „Leere“. Sehr schwierig zu verarbeiten ist oft für die Halter, wenn das Tier weniger oder gar nicht mehr interagieren möchte, keine Streicheleinheiten mehr einfordert, Begrüßungsrituale wegfallen oder am Ende das geliebte Tier „seine“ Menschen gar nicht mehr erkennt. Bei Katzen ist im Gegenteil auch oft eine starke Zunahme der Anhänglichkeit und aufmerksamkeitsheischenden Verhaltens sowie insbesondere exzessives Miauen (Vokalisieren) beschrieben. Aufreibend ist auch die nächtliche Unruhe, wenn der Hund oder die Katze wortwörtlich die Nacht zum Tag macht und dann stundenlanges Drangwandern im Kreis oder Bellen zeigt. Viele Tiere vergessen erlernte Verhaltensweisen wie die Stubenreinheit oder vormals bekannte Kommandos und Rituale werden nicht mehr ausgeführt. Die Tiere sind einerseits apathischer und weniger körperlich aktiv, gleichzeitig können die Wach- Phasen vermehrt stereotypes Verhalten wie Benagen oder Belecken von Gliedmaßen oder Möbeln beinhalten. Betroffene Tiere können zudem Phobien entwickelt oder eine zuvor bekannte Ängstlichkeit kann sich verstärkt zeigen, zum Beispiel beim Alleinbleiben oder in neuen Situationen. Die altersbedingte Abnahme der Sinne Geruch, Hören und Sehen kann zusätzlich zur Verstärkung der Symptome beitragen.

 


Welche Patienten sind besonders gefährdet?

Der größte Risikofaktor für Hunde und Katzen, an Demenz zu erkranken, ist das zunehmende Alter. In einer Studie lag zum Beispiel die Prävalenz bei Hunden mit über zehn Jahren bei 12 % und verdoppelte sich danach alle zwei Jahre. Weitere Studien ergaben zudem einen Zusammenhang mit Geschlecht und Kastrationsstatus, wobei ein protektiver Faktor durch Testosteron postuliert wurde, da Hündinnen und kastrierte Hunde häufiger betroffen waren.

Hunde mit idiopathischer Epilepsie haben neben anderen Verhaltensauffälligkeiten auch ein höheres Risiko, früher am kognitiven Dysfunktionssyndrom zu erkranken. Dies deutet auf eine bidirektionale Beziehung von Epilepsie mit pathologischer Gehirnalterung hin, wie sie auch bei Menschen beschrieben ist.

Bei Katzen ist eine Haltung in reizarmer Umgebung als Risikofaktor beschrieben worden.

Die Datenlage ist aktuell widersprüchlich, was den Zusammenhang zwischen Gewicht bzw. Körpergröße und dem Risiko für canine Demenz betrifft- einige Studien weisen darauf hin, dass kleinere Hunde ein höheres Risiko aufweisen, zu erkranken.

Weitere potentielle Risikofaktoren sind eine nicht-balancierte Diät, ein hoher Body-Condition-Score, da Fettleibigkeit chronische Entzündungen begünstigt, sowie bestimmte Verschiebungen in der Darmflora.

Beispielsweise zeigten Hunde mit besserer Gedächtnisleistung im Alter einen geringeren Anteil an Actinobacteria. Vermutlich werden über bakterielle Metabolite Neurotransmitter und Entzündungsprozesse beeinflusst.

Hierbei ist die potentielle Verbindung zwischen Mikrobiom im Darm und Gehirnfunktion besonders spannend, da wir versuchen können, die Darm-Gehirn-Achse über Ernährung und bestimmte Nahrungsergänzungsmittel zu beeinflussen. Hier stehen wir aber mit unserer Forschung noch ganz am Anfang.

In der Humanmedizin und neuerdings auch in der Tiermedizin gibt es zudem Hinweise, dass die Gehirnalterung negativ durch eine hohe Bakterienlast und Entzündungen im Mund bzw. des Zahnfleischs und vorangegangenen Gehörverlust beeinflusst wird, dies ist auch für die Tiermedizin relevant.

Genetische Risikofaktoren sind beim Tier – im Gegensatz zum Menschen, bisher nicht identifiziert.

 


Was passiert im Gehirn eines demenzkranken Haustiers?

Mit dem Alter schrumpft (atrophiert) die graue Substanz bei Tier und Mensch, das Volumen bestimmter Gehirnareale nimmt ab. Es konnte gezeigt werden, dass das Ausmaß der Gehirnatrophie bestimmter Bereiche beim Hund und Mensch mit verminderter Gedächtnisleistung und Lernfähigkeit korreliert.

Die umgebenden Hirnhäute können verkalken und erscheinen verdickt, es finden sich im Gehirn Lipofuscineinlagerungen und Veränderungen der versorgenden Gefäße, die zu Infarkten und kleinen Blutungen führen können – somit auch zu Durchblutungsstörungen und Sauerstoffmangel im Gehirn.

Die histopathologischen und biochemischen Alterungsprozesse im Gehirn sind vielschichtig und beeinflussen sich gegenseitig. Welche Faktoren schließlich zu einer Entgleisung, der mangelnden Kompensationsfähigkeit und somit zu klinisch feststellbarer Demenz führen, ist jedoch unklar.

Auffällig ist, dass betroffene Hunde und Katzen, wie auch Menschen mit der Alzheimer Erkrankung, Areale mit Eiweißablagerungen, sogenannten β-Amyloid-Plaques aufweisen. Diese besitzen neurotoxisches Potential und können die Nervenzellen schädigen. Das Ausmaß der Eiweißplaques ist jedoch nicht immer direkt mit der Schwere der klinischen Erkrankung assoziiert.

Zudem verändert sich im Alter der gesamte Gehirnstoffwechsel- der Zuckerstoffwechsel im Gehirn ist weniger effizient und die Leistung der Mitochondrien, welche als Kraftwerke der Zellen arbeiten, nimmt insgesamt ab. Zudem sinkt der Gehalt an ungesättigten Omega-3-Fettsäuren wie DHA, B-Vitaminen und anderen wichtigen Stoffen. Dies führt zu vermehrt oxidativem Stress, der schlechter kompensiert werden kann und einem pro-entzündlichen Milieu sowie vermehrtem Zelltod. Zugleich verändert sich auch der Botenstoffhaushalt im Gehirn.

 


Diagnosestellung

Da die klinischen Zeichen der kognitiven Dysfunktion unspezifisch sind, gibt es keinen einzelnen geeigneten Test, sondern es ist eine ausführliche Aufarbeitung des Falles mit ausführlicher Erfragung der -in der Regel chronischen- Krankengeschichte und hinsichtlich Verhaltensveränderungen und kognitiver Leistung sinnvoll.

Dies sollte wenn möglich unter Nutzung eines validierten Scores zur Tierhalterbefragung in Kombination mit Ausschlussdiagnostik und eventuellen Verhaltenstests, geschehen. Geeignete Fragebögen sind zum Beispiel die „CAnine DEmentia Scale (CADES)“ oder die „Canine Cognitive Dysfunction Rating scale (CCDR)“.

Andere Erkrankungen wie z.B. Leber- oder Nierenprobleme, Bluthochdruck, Hormonentgleisungen, Harnwegsinfekte und Schmerzen sowie Ausfall der Sinnesorgane sollten durch die ausführliche klinische Untersuchung und Blut- sowie Urinuntersuchungen diagnostisch abgeklärt werden. Mittels neurologischer Untersuchung werden das Bewusstsein und Verhalten, die Kopfnerven, Gleichgewicht, Bewegung, Orientierung und Reflexe des Tieres beurteilt. Hier wäre zum Beispiel für eine kognitive Dysfunktion untypisch, wenn sich rein einseitige Ausfälle zeigen, da die degenerativen Gehirnveränderungen klassischerweise beide Hirnhälften betreffen.

Eine Magnet-Resonanztomografie (MRT) des Schädels in Narkose als bildliche Darstellung dient dem Ausschluss anderer struktureller Gehirnerkrankungen wie Tumore, Entzündungen oder Infarkte, die ebenfalls Großhirnsymptome verursachen können. Zusätzlich kann mittels MRT die typische diffuse Minderung von Gehirngewebe, Erweiterung der flüssigkeitsgefüllten Gehirnventrikel (Kammern) und Sulci (Gehirnfurchen) dargestellt werden.

Herausforderung der Zukunft ist die Identifizierung von Biomarkern im frühen Stadium, um gefährdete Patienten prophylaktisch behandeln zu können und um diagnostische Sicherheit zu gewinnen. Wenig invasive Diagnostik, so also zum Beispiel Messung von Biomarkern im Blut, um eine Narkose zu vermeiden, wäre zu bevorzugen.

Es wurde bereits gezeigt, dass Plasmalevel Aβ42 bei Patienten bestimmter Stadien der caninen kognitiven Dysfunktion erhöht sind, ebenso das Eiweiß Neurofilament light chain (NfL), welches altersabhängig ansteigt, jedoch generell auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen erhöht sein kann.

Abbildung: MRT-Aufnahmen des Gehirns eines alten Hundes mit typischen klinischen Zeichen einer kognitiven Dysfunktion (a, b, c) und zum Vergleich das MRT eines alten Hundes ohne kognitive Dysfunktion (d, e, f).

In den Bildern des erkrankten Hundes (a, b, c) sieht man vermehrt Gehirnwasser (weiß in a + b), welches Areale von verkleinertem Gehirngewebe um das Gehirn in den Furchen und Windungen und durch vergrößerte Hohlräume (Gehirn-Kammern) „ersetzt“. Insbesondere die interthalamische Adhesion (Zwischen rechter und linker Gehirnhälfte) (oranger Ring, Bild a + b) ist stark verkleinert. Zudem zeigen sich Veränderungen der weißen
Gehirnsubstanz des Großhirns, eine sogenannte Leukoaraiose (gelbe Ringe, Bild c).

 


Prophylaxe und Therapie

Eine schlechte Nachricht vorweg: eine Heilung der Erkrankung gibt es weder bisher für Menschen mit Alzheimer noch für Hunde und Katzen mit kognitiver Dysfunktion.

Gleichzeitig wächst aber unser Wissen zu Ursachen und Diagnosestellung, auch wenn noch viele Puzzlestücke fehlen. Dies ermöglicht es uns, evidenzbasierte Maßnahmen für den jeweiligen Patienten auszuwählen, wodurch die Lebensqualität verbessert und der Verlauf verzögert werden kann. Zum einen wird immer klarer: Je früher die Intervention beginnt, desto besser sind die Aussichten, einen positiven Effekt beim Patienten zu bemerken. Außerdem haben viele Studien ergeben, dass nicht eine einzelne Maßnahme, Therapie oder Ernährungskomponente allein, sondern deren Kombination erfolgsversprechender sind. Dies schlägt sich auch in einer Vielzahl der Studien nieder, die Diäten mit mehreren vorteilhaften Inhaltsstoffen oder eine Mischung verschiedener Supplemente auswerten. Zum anderen sind die Kombination aus klinischen Zeichen sowie deren Voranschreiten bei jedem Patienten individuell. Dies bedeutet, dass sich die therapeutischen Maßnahmen an den Lebensumständen und gravierendsten Symptomen des Patienten orientieren müssen und – je nach Verlauf – angepasst oder ergänzt werden sollten.

Der mehrteilige Ansatz sowohl zur Prophylaxe als auch zur Therapie besteht aus Anpassung bzw. einer Supplementation der Fütterung: Mittlerweile sind spezielle Diäten zur Verbesserung der Kognition auf dem Markt erhältlich. Dazu kommt eine Anpassung des Alltags (Management) sowie mentaler Stimulation und bei Bedarf der Einsatz von Medikamenten.

Verschiedene kommerzielle Diäten und Kombinationspräparate bewirkten in experimentellen Gruppen alter und dementer Tiere eine deutliche Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Diese Supplemente oder „Nutraceuticals“, ob als Präparat oder in die Futtermittel inkludiert, sollen die verschiedenen Faktoren der Gehirnalterung beeinflussen. Mittelkettige Fettsäuren (MCT) dienen als alternative Energiequelle bei einem vermindertem Zuckerstoffwechsel und verbessern damit die mitochondriale Funktion. Zudem wird ein antikonvulsiver und anti-inflammatorischer Effekt und Auswirkungen auf Darmbakterien beschrieben. Omega-3-Fettsäuren wie DHA, B-Vitamine und Antioxidantien sowie mitochondriale Cofaktoren haben ebenfalls einen positiven Effekt. Für den Einsatz weiterer „Nutraceuticals“ wie Tryptophan oder Pheromone (spezielle Duftstoffe) gibt es bei Tieren mit Demenz aktuell keine Evidenz, es kann aber individuell nach Rücksprache mit dem Tierarzt/der Tierärztin ausprobiert werden.

Eine weitere wichtige Maßnahme ist zusätzlich positives Training und mentale Stimulation sowie Bewegung, zum Beispiel über interaktive Spielzeuge, Suchspiele, neue Spazierwege und Einüben von kleinen Tricks, alles im Rahmen einer ansonsten geordneten täglichen Routine, die Sicherheit bietet. Hunde, mit denen trainiert wurde, haben zudem insgesamt ein niedrigeres Risiko, an CCD zu erkranken, es handelt sich also auch um einen protektiven Faktor. Auch Katzen sollte „Enrichment“ mittels Spiele und „Grabbelkiste“ für Futter, wenn möglich Ausguck vom Balkon sowie eine angepasste Umgebung geboten werden, z.B. sollten gewohnte erhöhte Liegeplätze mittels Rampen zugänglich gemacht werden. Für Katzen scheint ansonsten eine feste Struktur im Alltag und wenig Stress von Vorteil zu sein, wenn die Krankheit schon fortgeschritten ist.

 


Pharmakologische Intervention kann bei Hunden mit Demenz über verschiedene Medikamente versucht werden. Für Katzen gibt es keine zugelassenen Medikamente, hier ist im individuellen Fall eine Umwidmung nötig.

Aktuell ist das einzige beim Hund speziell für Demenz validierte Mittel Selegelin, welches den Abbau des Botenstoffs Dopamin im Gehirn hemmt und zusätzlich freie Radikale vermindert. Bis zum Wirkungseintritt dauert es jedoch mehrere Wochen und es besteht die Gefahr von Medikamenteninteraktionen und Hyperaktivität durch Erhöhung des Katecholaminlevels. Propentofyllin kann den Blutfluss im Gehirn und somit die kognitive Funktion verbessern, Placebo-kontrollierte Studien fehlen aktuell jedoch.

Je nach individueller Klinik können auch Antidepressiva, Mittel zur Minderung von Angst oder zur leichten Sedation vor dem Schlafengehen eingesetzt werden.

 Wichtig ist zudem die Behandlung von weiteren Alterserkrankungen wie Zahnerkrankungen und Gelenkproblemen, da diese ebenfalls zu Unruhe und Schlafstörungen durch Schmerzen sowie verminderte Aktivität führen. Bei Katzen sollten unbedingt typische Alterserkrankungen wie Bluthochdruck und Schilddrüsenüberfunktion ausgeschlossen und behandelt werden, da mit diesen ähnliche Symptome sowie Gefäßveränderungen im Gehirn einhergehen können.